(Zuletzt bearbeitet 11.12.2023)

Die Rückkehr der Dinosaurier

SMR Reaktoren, kleine, modular aufgebaute Kernkraftwerke, sollen das Image der Atomindustrie retten und dem Strom aus Kernspaltung zur Renaissance verhelfen. In vielen Beiträgen werden die SMR generell als Teil der Generation IV der Kernreaktoren gesehen, einer Generation, die auf die EPR Reaktoren folgen soll und mit der je nach Technologie große Hoffnungen verknüpft sind. Diese Hoffnungen: "erhöhte Sicherheit", wahlweise "Thorium oder Atommüll als Brennstoff", "billig", "kurze Bauzeiten" u.s.w. werden oft auf das Konzept SMR verallgemeinert projiziert, haben aber letztlich nichts mit der Bezeichnung SMR zu tun. Denn in Wahrheit ist mit der Bezeichnung SMR keine Technologie beschrieben sondern nur eine geringe Baugröße ("small") und ein Aufbau, der eine industrielle Vorfertigung ermöglicht und die benötigte Gesamtleistung quasi im Baukastenprinzip ("modular") durch mehrere parallel laufende Einheiten bereitstellt. Es ist daher durchaus denkbar, unter der Bezeichnung SMR auch Kraftwerke der II. und III. Generation zu bauen - und genau das findet derzeit statt.

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Über 100 verschiedene Konzepte.

Bunt ist die Welt der "4. Generation" der Atomkraftwerke, über 100 verschiedene Konzepte und Ideen spuken durch Köpfe und auf Planzeichnungen. [1] Die Versprechnungen sind groß und erinnern an die Urzeit der Atomindustrie. Damals waren es Aussagen wie:

  • „Was schließlich den Atommüll betrifft, so genügt es durchaus, ihn in einer Tiefe von drei Metern zu vergraben, um ihn vollkommen unschädlich zu machen.“ Werner Heisenberg, Physiker, 1955.
  • „Ohne das Kernkraftwerk Wyhl werden zum Ende des Jahrzehnts in Baden-Württemberg die ersten Lichter ausgehen.“ Hans Filbinger, Ministerpräsident Baden-Württemberg in einer Regierungserklärung von 1975.
  • „Wenn wir auf Kernenergie setzen, können wir in ein paar Jahren die Stromzähler abmontieren, weil der Strom so billig ist, dass sich das Ablesen nicht mehr rentiert.“, wurde oft dem damaligen Atomminister Franz-Joseph Strauß zugeschrieben. Diese Zuschreibung ist falsch, der Slogan kursierte auch in den USA als "to cheap to meter" und stammt vom dortigen Vorsitzenden der Atomenergiekommission, Lewis L. Strauss.

Heute sind die Prognosen dem Zeitgeist angepasst, aber nicht weniger wagemutig:

  • "Der Neubau von Kernkraftwerken wird unter Berücksichtigung möglicher Kostensenkungen durch Lerneffekte günstiger als jede andere Form einer sowohl zuverlässigen als auch CO₂-armen Stromerzeugung.", Stellungnahme des Nuklearia e.V. zum Nutzen der Kernenergie für Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit, 19.10.2021
  • "Diese Kraftwerke sollen ab dem Jahr 2030 einsatzfähig sein und werden revolutionäre Technologien verwenden." Nucleopedia, (letzter Abruf Feb. 2022) als Einleitung zum Artikel über Generation IV unter Berufung auf EUROPEAN COMMISSION: Generation IV reactor systems and fuel cycles (horizon 2030): technological breakthroughs in nuclear fission von 2008

Das stark vereinfachte Weltbild der AFD Fraktion Sachsen drückt sich auf seiner Homepage so aus: "Das Prinzip ist bestechend einfach. Energiereiche, radioaktive Stoffe werden aus der Erde entnommen, durch eine kontrollierte Reaktion gezwungen, einen Teil ihrer Energie abzugeben und dann wieder in die Erde verbracht." Aha. So gut erklärt versteht das auch der gemeine AfD- Wähler im Detail.

 

Die wichtigsten Konzepte im Detail

Obwohl die Bandbreite der Konzepte für die Generation IV so groß ist, lassen sich doch die Reaktortypen in sechs Hauptkonzepte untergliedern. Die verfolgten Konzepte weichen davon dann in Details, aber nicht mehr grundsätzlich ab: (Zum Verständnis: Die Bezeichnung "schnell" beruht auf dem Konzept, mit schnellen Neutronen zu arbeiten, im Gegensatz zu "langsamen" Neutronen, die durch Moderatoren wie Graphit aus den schnellen Neutronen entstehen.)

  1. Gasgekühlte schnelle Reaktoren (gas-cooled fast reactors, GFR): Wärmeabfuhr aus dem Kern über einen Heliumkreislauf mit etwa 850°C. Dieses Konzept verspricht eine hohe Brennstoffausnutzung und einen guten thermischen Wirkungsgrad. Erfordert umfangreiche materialtechnische Entwicklungen und setzt eine kommerziell funktionsfähige Heliumturbine voraus.
  2. Salzschmelze-Reaktoren (molten salt reactor, MSR): Der Brennstoff ist in einem Fluoridsalz aufgelöst, das gleichzeitig als Kühlmittel dient. Der Brennstoff soll kontinuierlich wieder aufgearbeitet werden. Dazu sind noch viele Fragen zu klären, etwa die physikalisch-chemischen Wechselwirkungen zwischen dem Brennstoff, den Reaktorkomponenten und der als Kühlmittel dienenden Salzschmelze, außerdem die Brennstoffaufarbeitung.
  3. Natriumgekühlte schnelle Reaktoren (sodium-cooled fast reactors, SFR): Schnelle Brüter sollen im Rahmen der Generation-IV-Konzepte insbesondere dazu dienen, aus vorhandenem Uran durch Neutroneneinfang Plutonium zu produzieren und damit die langfristig verfügbaren Brennstoffvorräte zu erhöhen. Dazu sind auch eine umfangreiche Wiederaufarbeitung und ein geschlossener Brennstoffkreislauf notwendig.
  4. Bleigekühlte schnelle Reaktoren (lead-cooled fast reactors, LFR): Kühlung durch Blei anstelle von Natrium. Umgeht die Gefahr von Natriumbränden, Blei verursacht aber Korrosionen im Kühlsystem, so dass sich erheblicher Forschungsbedarf für neue Materialien ergibt.
  5. Überkritische Leichtwasserreaktoren (supercritical-water-cooled reactors, SCWR): Bei dieser Weiterentwicklung heutiger Leichtwasserreaktoren weist das Kühlmittel Temperaturen oberhalb von 500°C und Drücke von über 250 bar auf. So werden besonders hohe Wirkungsgrade möglich. Bei diesem Reaktortyp sind eine Reihe sicherheitstechnischer Aspekte bei der Auslegung des Reaktorkerns sowie vielfältige materialtechnische Aspekte ungelöst.
  6. Hochtemperaturreaktoren (very-high-temperature reactors, VHTR): Eine Kühlmitteltemperatur von über 1.000°C würde einen besonders hohen thermischen Wirkungsgrad ermöglichen und könnte der chemischen Industrie Prozesswärme zur Verfügung stellen. Auch hier sind insbesondere umfangreiche materialtechnische Probleme zu lösen.

(Klassifizierungen nach "Generation IV international Forum (GIF), Bewertungen nach [1]")

 

Dinosaurier im Tütü - die kleinen modularen...

Wohnortnah könne man die SMR bauen, denn sie seinen klein und fügten sich in das Ortsbild ein, dadurch seien sie geeignet zur Fernwärmeversorgung, so eine der Versprechungen. Inhärent sicher seien sie, aufgrund physikalischer Gesetze und wegen dem geringen radioaktiven Inventar. Also niedliche Dinosaurier im Tütü?

Die Nuclear Energy Agency (NEA) der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) definiert SMR als Kraftwerke mit einer elektrischen Leistung von 10 bis 300 Megawatt. Bei heutigen Großprojekten sind 1200 bis 1600 Megawatt Standard. Die kleinen Kraftwerke sollen durch die Serienproduktion billiger werden, durch die geringeren Größen leichter transportierbare Komponenten haben und durch Standardisierung schneller aufzubauen sein:
“SMRs are generally defined as reactors with power outputs of between 10 MWe and 300 MWe that integrate higher simplification, modularisation, standardisation and factorybased construction in their design to maximise the economic advantages of series production. The various modules can be transported and assembled on-site, with the shorter lead times enhancing construction predictability and savings.”

Das französische Ex- Kernkraftwerk in Fessenheim mit 2 Blöcken für je 900 Megawatt beansprucht 500.000 Quadratmeter Land (ohne Reserveflächen). Selbst bei einer linear angenommenen Verkleinerung der Fläche, die zwei auf ein Zehntel reduzierte SMR benötigten, würden diese 50.000 Quadratmeter beanspruchen. Das entspricht eher einem kleinen Stadtteil als einem großen Wohngebäude.

Und wie steht's nun mit der Sicherheit? Das, was die Gesellschaft an Risiko bereit zu akzeptieren ist, ist nicht nur individuell unterschiedlich sondern auch durch Erlebnisse einem Wandel unterworfen. Bevor die Welt die Erfahrung mehrerer größter anzunehmender Unfälle in Windscale, Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima machen musste, war das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung ein anderes als heute. Selbst das französische Institut für Strahlenschutz und nukleare Sicherheit IRSN stellte fest, dass die Häufigkeit solcher Unfälle nicht mit den berechneten Wahrscheinlichkeiten übereinstimmt und daher die Wahrscheinlichkeitsberechnungen für solche Ereignisse dringend einer Korrektur bedürfen. Auch wenn die Konzepte der Generation IV moderner sind und deutlich größere Sicherheiten versprechen, absolute Sicherheit wird es in der Kerntechnik nie geben, schon gar nicht, wenn man Terrorismus, Sabotage, Atomtransporte, Aufbereitung der Brennelemente und die Zwischen- und Endlagerung in die Betrachtungen einbezieht. Durch die zwangsweise größere Anzahl an Reaktoren und Standorten dürfte der Sicherheitsgewinn eher geringer ausfallen als erhofft.

Frankreichs Neubaupläne

Bereits drei Wochen vor Halloween 2021 gruselt uns Frankreichs Präsident Macron in einer Rede vor Unternehmern im Elysee Palast: eine Milliarde Euro will er in die SMR Technik investieren. Was bedeutet das für die Stromversorgung in Frankreich?

Frankreich hat bisher weder einen Prototypen, noch eine Industrie, die in großem Stil an SMR forscht. Für den Zeitplan bedeutet das:

  1. Zunächst muss aus den verschiedenen Konzepten eine Bewertung vorgenommen und ein oder wenige erfolgversprechende Konzepte müssen priorisiert werden.
  2. Zeitgleich oder danach kann mit ernsthaften Materialforschungen begonnen werden, die Materialien müssen dann Extremtests unterzogen werden und eine Bewertung für den Langzeitbetrieb erhalten.
  3. Es folgt die Genehmigungsphase für einen oder wenige Prototypen, die die Tragfähigkeit des Konzepts belegen müssen. Die Genehmigungsphase heutiger (bekannter) Kraftwerkskonzepte erstreckt sich normalerweise über 5 Jahre und mehr.
  4. Es folgt der Bau von Prototypen, danach der Probebetrieb über mehrere Jahre und die Evaluierung von eventuell auftretenden Problemen.
  5. Die Industrie für die Serienfertigung wird aufgebaut.
  6. Die Serienfertigung beginnt, zeitgleich erfolgt die Genehmigungsphase für die Standorte.
  7. Die Reaktoren werden an den Standorten aufgebaut und in Betrieb genommen.

Es ist aus heutiger Sicht unvorstellbar, dass all diese Schritte innerhalb von weniger als 20 Jahren abgeschlossen sein werden. Frankreich ist daher gezwungen, die existierenden alten Atomkraftwerke so lange in Betrieb zu halten, bis die Ersatzkraftwerke einsatzbereit sind. Alternativen gibt es kaum, grob 70% des Stroms kommt in Frankreich aus Atomkraftwerken. Viele der alten Kraftwerke aber erreichen bereits jetzt das Alter von 40 Jahren, für das sie ursprünglich ausgelegt waren. Die französische Atomaufsicht hat jüngst nur unter der Voraussetzung aufwändiger Nachrüstungen eine Betriebsverlängerung um 10 Jahre auf 50 Jahre genehmigt. Die SMR werden aber erwartungsgemäss auch in 10 Jahren noch nicht einsatzfähig sein, woher will Frankreich dann seinen Strom beziehen? Die Laufzeiten noch weiter verlängern? Und wenn sich der Neubau noch weiter verzögert, was dann?

 

Grafik aus World Nuclear Industry Status Report 2023

Besonders die Materialforschung birgt hohes Potenzial für Überraschungen, die die Realisierung der SMR um Jahre zurückwerfen könnten, als Beispiel kann die durch Materialprobleme bedingte Verzögerung des Baus der drei EPR in Frankreich, England und Finnland genommen werden. Beim EPR in Flamanville beträgt schon die reine Bauzeit bisher über 15 Jahre (versprochen waren 4 Jahre) und der Reaktor ist noch längst nicht fertig. Für Frankreich bedeutet die Festlegung auf SMR als zukünftige Energielieferanten eine Art Russisches Roulette: Wenn sich im Lauf der Forschungen herausstellt, dass die verfolgten Konzepte unüberwindbare Probleme bereiten oder doch teurer sind als gedacht (auch hier Vorbild EPR), hat Frankreich viel Zeit für den Umstieg auf die Erneuerbaren verloren und wird zwangsweise wieder und wieder die Laufzeiten der alten Kernreaktoren verlängern müssen, bis weit über die vorgesehene Betriebsdauer hinaus. Und das Risiko überalterter Kernkraftwerke hat rein gar nichts mit der inhärenten Sicherheit gemein, die für die SMR versprochen wird. [3]

Sind SMR wirklich billiger?

Die Internetseite der World Nuclear Association listet fast 100 SMR- Projekte in verschiedenen Stadien auf.

Das Öko- Institut hat in einer Studie im Auftrag des BASE die Aussage, kleine modulare Einheiten in Serienfertigung seien kostengünstiger als wenige große Einheiten in Einzelfertigung, unter die Lupe genommen und kommt zum Ergebnis, dass mit diesem Effekt ab ca. 3.000 gebauter (identischer) Einheiten zu rechnen ist. [2]  Dabei ist noch nichteinmal berücksichtigt, dass sich Serienfehler auf viele kleine Einheiten finanziell deutlich gravierender auswirken als auf wenige große Anlagen.

Da bei sehr kleinen Einheiten die Kosten für den Betrieb (Betriebsmannschaft, Wachpersonal, Wartung, Brennstofftransporte, Atomaufsicht) deutlich zunimmt, dürfte der größte Serienfertigungsvorteil bei Kraftwerken mit einer elektrischen Leistung um 100 bis 300 Megawatt zu erwarten sein. Frankreich erzeugt derzeit mit 57 Reaktoren 70% seines Stroms. Wenn diese durch kleine Reaktoren mit einem Zehntel der Leistung ersetzt würden, käme Frankreich nur auf 570 Reaktoren, also weit unterhalb der Wirtschaftlichkeitsgrenze. Selbst bei einer überdeutlichen Zunahme des Strombedarfs in Frankreich z.B. durch die Elektrifizierung des Verkehrs und Wasserstoffproduktion käme man vielleicht auf 1.000 Kraftwerke. Um wenigstens die Grenze der Wirtschaftlichkeit zu erreichen (und da ist die Forschung noch nicht gegenfinanziert) müssten also 2.000 Reaktoren ins Ausland verkauft werden.

Doch wer wären die potenziellen Kunden? China, Russland, Argentinien, Japan, Kanada oder Indien sicher nicht, die forschen an eigenen SMR Konzepten. In den USA forschen mit staatlicher Unterstützung NuScale Power und die von Bill Gates unterstützte Terapower LLC, letztere an kleinen modularen Laufwellen und Flüssigsalzreaktoren. In England entwickelt Rolls Royce, Hersteller von atomgetriebenen U-Booten an den Kleinstreaktoren. Was dazu kommt: Alle diese Länder haben das gleiche Problem, der Bedarf an Reaktoren im eigenen Land ist geringer als 3.000 Stück. Ist die Welt bereit für einen zu erwartenden Konkurrenzkampf der Hersteller um die Abnehmer, mit Preisschlachten, Lobbyismus, Bestechungen und allem was der Kapitalismus sonst noch hergibt, damit wenigstens die Wirtschaftlichkeitsgrenze erreicht wird?

Die Forschungseinrichtungen bringen als Einsatzorte immer wieder Entwicklungsländer ins Spiel, doch ist das wirklich wünschenswert? Halten wir deren Regierungen neuerdings für langfristig stabil? Können wir ernsthaft riskieren wollen, dass Kernkraftwerke in Afghanistan den Taliban, in Nahost dem IS oder in Westafrika Boko Haram in die Hände fallen?

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